Das rühmliche Ende des Don Juan

The Rainlights Gazette

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Die Kirche, in die Don Juan sich geflüchtet hatte, war die der Jungfrau von den Sieben Dolchen. Wie so häufig lag sie verlassen, nur von kaltem Morgenlicht gefüllt, in dem die vergoldeten Simse und Altäre erstrahlten und die vielen kostbaren Marmelsteine wie Teichoberflächen aufglänzten. Doch schien ein Nebel über allem zu liegen und die Pracht des Hochaltars zu dämpfen.

Don Juan sank in der Mitte des Hauptschiffes nieder: nicht auf seine Knie, denn (oh Schrecken!) er spürte, daß er keine Knie mehr besaß - auch keinen Rücken, keine Arme, keine Beine -, und er mochte sich gar nicht die Frage stellen, ob ihm denn noch ein Kopf auf den Schultern säße. Seine einzigen Empfindungen waren solche, wie sie eine langsam verträufelnde Lache, eine dahinschmelzende Schneewehe oder eine Wolke haben mag, wenn sie sich auf einer kalten Fläche Fels niederläßt.

Man hatte ihn entleibt. Er verstand nun, weshalb ihn niemand in der Menge bemerkt hatte, weshalb er es vermocht hatte, trotz des Gedränges nach vorn zu gelangen, und weshalb ihm die Leute, wenn er sie stieß oder am Kragen zog oder niederschlug, nicht mehr Beachtung schenkten als einem Windhauch. Er war ein Geist. Er war tot. Dies war das Leben nach dem Tode, und er war zweifelsohne nur noch einen Sprung von der Hölle entfernt.

„Oh Jungfrau, Jungfrau von den Sieben Dolchen“, rief er hoffnungslos und bitter, „vergeltet Ihr mir so meine Ergebenheit? Ich bin gestorben, ohne daß man mir die Absolution erteilt hätte, im Stande der Todsünde, und dies nur, weil ich nicht sagen wollte, daß Ihr weniger schön wäret als diese maurische Infantin. Ist es gerecht, daß mir nun ein solcher Lohn zuteil wird?“

Doch noch als er diese Worte sprach, vollzog sich ein Wunder sondergleichen. Das weiße Winterlicht zerstob in regenbogenfarbener Pracht, aus weißen Nebeln formten sich die Umrisse palmzweigtragender Engelsscharen, und die schalen Weihrauchschwaden, die eben noch über dem Hochaltar gehangen hatten, verdichteten sich zu kleinen Wollknäueln, aus denen wiederum die Köpfe und Hinterteile wohlgenährter Cherubim wurden. Don Juan selbst fühlte sich wie in einem Taumel und ward halb besinnungslos emporgetragen, höher und immer höher, wie auf quellendem Seifenschaum. Die Kuppel der Kirche hob und dehnte sich, die Wolkenfresken röteten sich erregt in dunklem Rosa, und die gemalte Himmelslandschaft machte Platz für die Tiefen echten Blaus. All die Tugenden, allegorisch dargestellt in den Lünetten, erwachten zum Leben und pochten auf ihre Attribute. Die stolzen Stuckengel bewarfen ihn von ihren Simsen her mit Blumen, die nun echt waren und nicht mehr aus der bekannten Pariser Lehmmischunng gefertigt. Der ganze Raum war durchdrungen von köstlichem Weihrauchduft, vom Wohlklang der Violen und Flöten, dazu von herrlichen Stimmen, unter denen er ganz deutlich Syphax (seiner Majestät Ersten Sopran!) heraushörte. Und während Don Juan durch die Kuppel der Kirche nach oben entschwebte, füllte sich sein Herz plötzlich mit dem Bewußtsein außergewöhnlicher Tugend. Das Gold droben im Kuppelgewölbe wurde durchsichtiger und durchlässiger, versendete Strahlen, die immer röter und stärker wurden, bis aus ihnen endlich ein goldener Halbmond hervorbrach, auf dem in ihrem flohbraunen Reifrock und mit ihrem Saatperlenmieder die Jungfrau von den Sieben Dolchen stand, die großen schwarzen Augen milde auf ihn gerichtet.

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„Eure Geschichte vom verstorbenen Edelmann Graf von Miramor, Don Juan Gusman del Pulgar“, schrieb Don Pedro Calderon de la Barca im März des Jahres 1666 seinem Freund, dem Erzpriester Morales, nach Granada, „welche sich mit der Gewalt der Wahrheit dem heiligen Prior von St. Nikolaus visionär enthüllte, ist in der Tat von jener Art, daß sie an das Herz noch des Verstocktesten rührt. Würde sie im Gewande eines Bühnenstückes aufgeführt, dem es nicht an Anmut des Stils noch an den Blumen der Redekunst gebräche, so wäre sie tatsächlich (gäbe auch der Himmel seinen Segen dazu) wohlgeeignet, die Glorie unserer Heiligen Mutter Kirche zu verbreiten. Doch ach, mein lieber Freund, der Winter des Alters lastet auf meinem Haupt so schwer wie der Schnee auf dem Mulhacén, unter dem Ihr lebt - und wer weiß, ob ich je wieder in der Lage sein werde zu schreiben?“

Die Vorahnung des hochberühmten Dramatikers und Poeten hat sich leider bewahrheitet. Und so ist es denn dazu gekommen, daß unwürdige Hände in unseren modernen Zeitläuften sich der ebenso wahren wie erbaulichen Historie von Don Juan und der Jungfrau von den Sieben Dolchen angenommen haben.



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