Monday, October 7. 2013
Perry und die Pioniere
Selten ist die Aussage, dass man beim Schreiben auf den Schultern von Riesen steht, so wahr wie im Perryversum. Und fast mehr noch im Neoversum, wo wir versuchen, über 50 Jahre alte Storyelemente aufzugreifen und neu zu interpretieren.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Szene in NEO 53, in der Atlan seinen Zellaktivator erhält. Der Verlag stellte mir dafür Heft Nr. 60, "Festung Atlantis" von 1962 zur Verfügung. Geschrieben wurde der Roman von Perry-Rhodan-Schöpfer K. H. Scheer. Da es eine der "ikonischen" Szenen der Originalszenerie ist, wollten wir sie beibehalten, aber variieren. Auch in meinem Roman wird Atlan zu einem fremdartigen Raumschiff zitiert, und erhält dort seine Unsterblichkeit quasi auf dem Präsentierteller, ohne auch nur einem lebenden Wesen zu begegnen. Bloß das Schiff selbst spricht zu ihm, als er es betritt, und erklärt ihm schnörkellos die Sachlage:
Eine künstliche Intelligenz also steuert das Schiff – heute in der SF nichts Besonderes mehr. Ian M. Banks schreibt (verdammt gute) Romane darüber. Die wichtigste Änderung, die ich an dieser Stelle vollzog, ist, dass das Schiff mit der Stimme von Atlans Geliebten (die -- herrlich dekadent -- auch seine Ziehschwester war) zu ihm spricht:
Davon abgesehen, dass Crysalgira damit wohl entweder etwas mit diesem Schiff zu tun hat, oder man sie nur benutzt, um Atlan zu ködern, ergibt die Scheer'sche Wortwahl an dieser Stelle plötzlich einen völlig neuen Sinn. Doch damit nicht genug: Sein Schiff will in Folge sogar, dass Atlan sich auszieht:
Natürlich ließ ich mir nicht nehmen, dass auch "Crysalgira" Atlan sich entblättern lässt -- so sinnlos ein "machen Sie sich bitte frei" für eine Technik, die in der Lage ist, ewiges Leben zu schenken, auch sein mag.
Ähnlich antiquiert muteten Stahlkappe und Greifarm in der obigen Szene an. Bei mir hängt die Kette um eine Büste wie in der Auslage eines Juweliers -- Zellaktivatoren werden ohnehin immer wieder mit "Schmuckstücken" verglichen, und es ist noch nicht klar, wie selbstlos diese "Geschenke" im Neoversum wirklich sind. Von daher schien es angemessen, Atlan selbst nach der Kette greifen zu lassen.
Das stilisierte, konturlose Aussehen der Büste verweist zudem auf die Gesamtheit der humanoiden Völker -- denn Atlan wird in diesem Moment zu einer Figur im kosmischen Ringen, unserem "big plot", dessen Hintergründe ihm später im Roman erklärt werden. Unklar ist allerdings noch, auf welcher Seite er eigentlich steht: Stellt die Büste wirklich eine Überhöhung des humanoiden Prinzips dar -- oder sieht sie nur deshalb so unfertig aus, weil es die Gegenseite nicht besser hingekriegt hat? Ich wollte Exposé-Autor Frank Borsch hier alle Möglichkeiten offen lassen. Von mir aus hätte er die weiße Büste im Lektorat auch gerne noch golden "anmalen" dürfen ... doch aktuell gibt es keine Hinweise darauf, welche Mächte Atlan dieses Schiff wirklich sandten.
Doch nicht nur der Geist der 60er schwebte über meinem Roman, auch zu zahlreichen anderen Bänden mussten Verweise geschaffen werden. Am reizvollsten, und arbeitsintensivsten waren die zahlreichen Anknüpfpunkte an Atlantis, insbesondere aus NEO 14 und NEO 23. Dort gab Christian Montillon damals schon einen Ausblick auf das, was nach Atlans Rückkehr vom unbekannten Schiff geschah:
All diese Motive, die vor über einem Jahr geschrieben wurden, galt es aufzugreifen: den Duft der vergangenen Tage, Atlans Schuldgefühle, aber auch das "Wesen", dessen Name er noch nicht kennt, das ihm aber ein U-Boot versprach (und sich später als Rico erweisen wird).
Ähnlich verhält es sich mit der Szene, in der Atlan und Rico aus der Kuppel fliehen: Dies ist ein direkter Anschluss an NEO 12. Wer wissen will, vor wem sie fliehen -- und wieso Rico diese Flucht so wichtig ist -- braucht nur dort nachzusehen.
Und für die Szene auf Topsid, in denen Atlan dann als "Scharfauge" auftritt, war es nötig, einen gründlichen Blick in die vierte Staffel zu werfen.
Mir macht das Spaß -- ich bin seit langem der Ansicht, dass Schauplätze in Büchern oft erst bei ihrem zweiten Besuch ihre volle Wirkung entfalten, besonders, wenn man wie hier Gefühle der Nostalgie wachrufen will oder einen Charakter auf seinem Weg der Selbstfindung begleitet. Und erst durch die wiederholte Verwendung von Schauplätzen (man denke nur an Vulkan oder Kronos in Star Trek) entsteht der Eindruck eines geschlossenen Universums.
Perry NEO ist noch immer jung, und das Universum ist riesig. So schnell gehen uns die Ideen nicht aus.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Szene in NEO 53, in der Atlan seinen Zellaktivator erhält. Der Verlag stellte mir dafür Heft Nr. 60, "Festung Atlantis" von 1962 zur Verfügung. Geschrieben wurde der Roman von Perry-Rhodan-Schöpfer K. H. Scheer. Da es eine der "ikonischen" Szenen der Originalszenerie ist, wollten wir sie beibehalten, aber variieren. Auch in meinem Roman wird Atlan zu einem fremdartigen Raumschiff zitiert, und erhält dort seine Unsterblichkeit quasi auf dem Präsentierteller, ohne auch nur einem lebenden Wesen zu begegnen. Bloß das Schiff selbst spricht zu ihm, als er es betritt, und erklärt ihm schnörkellos die Sachlage:
»Ich begrüße dich, Atlan. Du befindest dich in meinem Körper. Deine Überlegungen sind mir bekannt. Dies ist ein Robotraumschiff ohne organisch lebende Besatzung. Ich bin eine kompakte Schalteinheit, raumflugfähig, notfalls kampfstark und mit allen Mitteln ausgerüstet, die mein Erbauer für erforderlich hielt. Wende dich nach links.«
Ich war schockiert. So sah also des Rätsels Lösung aus! Ein Robot, der praktisch mit dem gesamten Schiff identisch war, konnte natürlich sehr gut davon sprechen, mich in »seinem Leib« zu empfangen. (K. H. Scheer)
Eine künstliche Intelligenz also steuert das Schiff – heute in der SF nichts Besonderes mehr. Ian M. Banks schreibt (verdammt gute) Romane darüber. Die wichtigste Änderung, die ich an dieser Stelle vollzog, ist, dass das Schiff mit der Stimme von Atlans Geliebten (die -- herrlich dekadent -- auch seine Ziehschwester war) zu ihm spricht:
»Ich heiße dich willkommen in meinem Leib«, flüsterte die Stimme, die ich zuvor schon gehört hatte. Sie klang ... näher als in der Funkübertragung. Als befände ich mich tatsächlich in ihrem Inneren, sodass sie mich von allen Seiten umgab, und von überall und nirgends zu kommen schien. »Komm tiefer.«
Davon abgesehen, dass Crysalgira damit wohl entweder etwas mit diesem Schiff zu tun hat, oder man sie nur benutzt, um Atlan zu ködern, ergibt die Scheer'sche Wortwahl an dieser Stelle plötzlich einen völlig neuen Sinn. Doch damit nicht genug: Sein Schiff will in Folge sogar, dass Atlan sich auszieht:
»Lege deine Kleidung ab und tritt in mein Meßgerät. Ich werde deine individuellen Schwingungen auf den Zellaktivator übertragen.«
Das war alles, was der Schiffsrobot erklärte. Völlig verblüfft befolgte ich seine Anweisung und trat mit den bloßen Füßen auf die rötlich leuchtende Metallplattform. Eine Stahlkappe senkte sich auf meinen Schädel. Ich spürte die nicht ganz schmerzlosen Einstiche von Kontaktnadeln, die bis zu meiner Schädeldecke vordrangen.
Die Prozedur dauerte knapp zwei Minuten. Ehe sich der Helm wieder hob, wurde mir von einem fein gearbeiteten Greifarm ein kleiner eiförmiger Körper um den Hals gehängt. Er war an einer sehr dünnen, aber ungeheuer festen Gliederkette befestigt.
Ich trat völlig verwirrt zurück und begann, mich wieder anzukleiden. Dabei fragte ich ununterbrochen. Eine Antwort erfolgte erst, als ich fertig war. (K. H. Scheer)
Natürlich ließ ich mir nicht nehmen, dass auch "Crysalgira" Atlan sich entblättern lässt -- so sinnlos ein "machen Sie sich bitte frei" für eine Technik, die in der Lage ist, ewiges Leben zu schenken, auch sein mag.
Ähnlich antiquiert muteten Stahlkappe und Greifarm in der obigen Szene an. Bei mir hängt die Kette um eine Büste wie in der Auslage eines Juweliers -- Zellaktivatoren werden ohnehin immer wieder mit "Schmuckstücken" verglichen, und es ist noch nicht klar, wie selbstlos diese "Geschenke" im Neoversum wirklich sind. Von daher schien es angemessen, Atlan selbst nach der Kette greifen zu lassen.
»Vertrau mir!«, flüsterte die Stimme. »Ich sage die Wahrheit.«
Einen Moment noch stand ich mit klopfendem Herzen und kam mir wie ein furchtbarer Narr vor. Dann, zu meiner eigenen Verblüffung, legte ich meine Waffe auf den Boden und zog meinen Anzug aus. Schließlich trat ich nackt auf das Podest, dessen Boden zu leuchten begann. Eine Art Scan vielleicht?
»Nun nimm dein Geschenk!«
Ruhig trat ich vor die Büste hin und streckte die Hand nach der feinen Gliederkette um ihren Hals aus. Beide waren sehr kalt.
»Nimm dein Geschenk!«, wiederholte Crysalgiras Stimme.
Ich hob den Talisman an. Er war überraschend schwer für seine Größe. Vorsichtig nahm ich der Büste die Kette ab und zog sie mir selbst über. Ich kam mir vor wie ein wahnsinniger Herrscher, der seine eigene Krönung vollzieht.
Das stilisierte, konturlose Aussehen der Büste verweist zudem auf die Gesamtheit der humanoiden Völker -- denn Atlan wird in diesem Moment zu einer Figur im kosmischen Ringen, unserem "big plot", dessen Hintergründe ihm später im Roman erklärt werden. Unklar ist allerdings noch, auf welcher Seite er eigentlich steht: Stellt die Büste wirklich eine Überhöhung des humanoiden Prinzips dar -- oder sieht sie nur deshalb so unfertig aus, weil es die Gegenseite nicht besser hingekriegt hat? Ich wollte Exposé-Autor Frank Borsch hier alle Möglichkeiten offen lassen. Von mir aus hätte er die weiße Büste im Lektorat auch gerne noch golden "anmalen" dürfen ... doch aktuell gibt es keine Hinweise darauf, welche Mächte Atlan dieses Schiff wirklich sandten.
Doch nicht nur der Geist der 60er schwebte über meinem Roman, auch zu zahlreichen anderen Bänden mussten Verweise geschaffen werden. Am reizvollsten, und arbeitsintensivsten waren die zahlreichen Anknüpfpunkte an Atlantis, insbesondere aus NEO 14 und NEO 23. Dort gab Christian Montillon damals schon einen Ausblick auf das, was nach Atlans Rückkehr vom unbekannten Schiff geschah:
Er berührte die Kette, und ihm war, als wollten sich seine Finger weigern, weiterzuwandern.
Ein Traum?
Waren die letzten Tage nur ein Traum gewesen? [...]
Eigentlich war er sich völlig sicher, dass dies nicht die Wirklichkeit war, andererseits waren seine Gedanken viel zu klar – klarer als je zuvor –, als dass er schlafen könnte. Absolut präzise erinnerte er sich an die vergangenen Tage. Viel zu detailreich, in viel zu satten Farben. Er vermochte sie noch zu riechen. Der Geruch hing in seinen Kleidern, in den langen, weißen Haaren. [...]
Atlan verließ das Beiboot über die Bodenschleuse, hörte das Klacken, mit dem sich das äußere Schott wieder verschloss, ging zum Ufer des kleinen Eilands, setzte sich auf den Boden und wartete.
Doch das Wesen, das ihn auf diese merkwürdige Reise geschickt hatte, kam nicht zu ihm.
Er starrte auf das Meer, lauschte, als wäre es möglich, im Rauschen der Wellen die Vergangenheit zu hören, als könne er den Untergang der Kolonie miterleben, das Sterben all der Arkoniden, die ihm anbefohlen worden waren. Er wollte ihren Schmerz fühlen, ihr erlöschendes Leben empfinden, damit sie ihn anklagen konnten.
Er wartete auf ein U-Boot, das aus den Wellen auftauchte, aber es kam nicht. (C. Montillon)
All diese Motive, die vor über einem Jahr geschrieben wurden, galt es aufzugreifen: den Duft der vergangenen Tage, Atlans Schuldgefühle, aber auch das "Wesen", dessen Name er noch nicht kennt, das ihm aber ein U-Boot versprach (und sich später als Rico erweisen wird).
Ähnlich verhält es sich mit der Szene, in der Atlan und Rico aus der Kuppel fliehen: Dies ist ein direkter Anschluss an NEO 12. Wer wissen will, vor wem sie fliehen -- und wieso Rico diese Flucht so wichtig ist -- braucht nur dort nachzusehen.
Und für die Szene auf Topsid, in denen Atlan dann als "Scharfauge" auftritt, war es nötig, einen gründlichen Blick in die vierte Staffel zu werfen.
Mir macht das Spaß -- ich bin seit langem der Ansicht, dass Schauplätze in Büchern oft erst bei ihrem zweiten Besuch ihre volle Wirkung entfalten, besonders, wenn man wie hier Gefühle der Nostalgie wachrufen will oder einen Charakter auf seinem Weg der Selbstfindung begleitet. Und erst durch die wiederholte Verwendung von Schauplätzen (man denke nur an Vulkan oder Kronos in Star Trek) entsteht der Eindruck eines geschlossenen Universums.
Perry NEO ist noch immer jung, und das Universum ist riesig. So schnell gehen uns die Ideen nicht aus.
Posted by JL
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